Putin und Carlson: Der russische Präsident zeigte sich in der Tat solidarisch mit Hitler. Vitaly Portnikov. 10.02.24

Ein Plakat mit dem Bild des russischen Präsidenten Wladimir Putin während einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Lettland gegen den Einmarsch Russlands in der Ukraine. Riga, 17. März 2022

https://www.radiosvoboda.org/a/putin-karlson-hitler/32813441.html

Das Interview des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem amerikanischen Kommentator Tucker Carlson galt schon vor seiner Veröffentlichung als politische Sensation.

Viele glaubten, dass Wladimir Putin mit diesem Gespräch – dem ersten Interview mit westlichen Journalisten seit dem Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022 und dem ersten Interview mit amerikanischen Journalisten seit 2021 – einige wichtige politische Signale senden würde, wenn nicht an den gesamten „kollektiven Westen“, so doch zumindest an diejenigen im politischen Establishment, die das Ende des Krieges in Verhandlungen mit dem Kreml sehen.

Auf Journalisten, die vermuteten, dass das Interview wahrscheinlich keine wirklichen Neuigkeiten enthalten wird, wollte man nicht hören. Schließlich wurden wir alle Zeugen eines weiteren langen Vortrags über die Geschichte der Ukraine, den Putin für Carlson hielt. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um dieselbe Vorlesung – nur in einer kürzeren Version -, die Putin dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und anderen westlichen Staatsoberhäuptern hielt, die Moskau unmittelbar vor dem „großen Angriff“ besuchten und den Kreml davon zu überzeugen versuchten, keinen fatalen Fehler zu begehen.

Putins inkompetente Interpretation der historischen Ereignisse.

Man kann über die Thesen dieses Vortrags streiten. Aber meiner Meinung nach ist die Analyse von Putins Geschichtsaufsatz eine sinnlose Übung. Und zwar nicht, weil es schwierig ist zu beweisen, dass Putins Interpretation historischer Ereignisse unzutreffend ist – das ist nicht schwierig. Sondern weil in der modernen Welt das Völkerrecht zählt und nicht die Berufung auf die Geschichte. Das ist genau die Schlussfolgerung, die die Menschheit aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege gezogen hat. Deshalb wurden die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechts zu einem unantastbaren Wert, dessen Verteidigung auf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 vereinbart wurde.

Russland hat diese Werte bereits 2014, nach der Besetzung der Krim, mit Füßen getreten. Deshalb sieht Wladimir Putin lächerlich aus, wenn er zu einem Gespräch mit Tucker Carlson mit Kopien von Bohdan Chmelnyzkys Briefen kommt. Denn fast alle europäischen Staaten haben seit der Zeit von Bohdan Chmelnyzky ihre Grenzen und sogar ihre ethnische Zusammensetzung geändert. Ja, das war meist auf militärische Konflikte zurückzuführen. Und deshalb hat Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt: „Genug ist genug“.

Aber Putin sagt das nicht. Und er behauptet, dass er sogar der NATO helfen wird, „das Gesicht zu wahren“, indem diese Organisation die russisch besetzte ukrainischen Gebiete als ein Teil Russlands anerkennt. Gleichzeitig glauben viele westliche Politiker, dass es Wladimir Putin selbst ist, der sein Gesicht wahren will. Dabei verspürt er offensichtlich kein Unbehagen vor der zivilisierten Welt isoliert zu sein. Und er versteht wahrscheinlich auch nicht, warum er dem Westen Signale zur Beendigung des Krieges geben sollte.

Putins Solidarität mit Hitler

Aber doch, es gab ein Signal von Putin, und zwar die Aufforderung, den russischen Status der besetzten ukrainischen Gebiete anzuerkennen – andernfalls könnte sich Putin „gegen Polen verteidigen“, falls dieses Land Russland angreift. Und da Putin im Falle der Ukraine auch immer von einem angeblichen ukrainischen Angriff auf Russland spricht, würde ich diese Aussage, dass Russland Polen nicht angreifen, sondern nur auf eine Aggression reagieren wird, nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich der russische Präsident tatsächlich mit Adolf Hitler solidarisiert hat, um zu erklären, warum der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist und warum Deutschland gezwungen war, auf Polen zu „antworten“. Und diese unerwartete Solidarität ist der Zynismus der politischen Rolle Putins, dem es gelingt, die Ukraine gleichzeitig des Nazismus zu bezichtigen und die ideologischen Praktiken eben dieses Nazismus zu nutzen.

Putin hat sich selbst widersprochen

Die wichtigste Schlussfolgerung aus diesem langen und kontroversen Interview ist ganz einfach: Putin ist nicht in der Lage, seine eigene Agenda zu ändern, selbst wenn dies in seinem eigenen politischen Interesse liegt.

Aus unserer Sicht hätte Putin den Befürwortern von Friedensgesprächen mit realistischen, frischen Ideen und der Bereitschaft, Kompromisse zu suchen, wirklich „helfen“ müssen, aber stattdessen sahen wir einen „klassischen“ russischen Präsidenten mit den üblichen Anschuldigungen gegen die Ukraine und den Westen, mit der Bereitschaft, den Krieg fortzusetzen, mit der Bereitschaft, sich selbst zu widersprechen, als der russische Präsident zwei Stunden lang der Tatsache zustimmte, dass die Ukraine und die Ukrainer existierten, und gleichzeitig behauptete, dass es überhaupt keine Ukraine und keine Ukrainer gäbe und dass es sich um ein „Projekt des Österreichungarischen Generalstabs“ handele.

Denn Putins Interesse bestand nicht darin, Signale zu setzen, sondern in der Selbstdarstellung gegenüber seinen eigenen Landsleuten, um zu zeigen, dass Putin und sein Regime nicht isoliert sind und nicht isoliert sein können und dass es selbst aus den Vereinigten Staaten „korrekte“ Journalisten kommen, die Russland als Zentrum der modernen Zivilisation anerkennen können.

Deshalb sahen die russischen Propagandisten Carlson schon vor der Veröffentlichung des Gesprächs mit Putin als einen wahren Helden des politischen Lebens und der weltlichen Chronik an. Das erinnerte mich an die übermäßige Aufmerksamkeit, die westliche Persönlichkeiten aus Kultur und Journalismus in der Sowjetunion seit den Tagen Wladimir Lenins stets genossen. Der berühmte britische Schriftsteller H.G. Wells schrieb nach seiner Begegnung mit Lenin im Jahr 1920 ein Buch mit dem Titel „Russland in der Dunkelheit“, in dem eine vorsichtige Haltung gegenüber dem bolschewistischen Experiment mit der Bewunderung für die Persönlichkeit des „Kreml-Träumers“ einhergeht.

Natürlich ist Carlson kein Wells und Putin ist kein Lenin. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Teilnehmer an diesem neuen Interview mit dem imperialen Träumer in einer Wells’schen „Zeitmaschine“ in eine ferne Vergangenheit gereist sind.

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